JOCHEN BIGANZOLI   REGISSEUR

LUISA MILLERIN von Giuseppe Verdi mit zusätzlichen Texten von Friedrich Schiller

FASSUNG FÜR 2 SCHAUSPIELER UND 7 SÄNGER VON JOCHEN BIGANZOLI - LANDESTHEATER EISENACH

Musikalische Leitung: Tetsuro Ban

Bühne: Andreas Wilkens

Kostüme: Michael S. Kraus

Dramaturgie: Stefan Bausch


THÜRINGER ALLGEMEINE, 17. OKTOBER 2005

Schiller schwebt durch Verdis Welt

(…) Die neue Inszenierung am Landestheater Eisenach besticht durch die Einführung einer ungewöhnlichen komplementären Spielebene. Sie führt Verdi auf Schiller zurück. (…) Das Wagnis, zwei Ästhetiken aufeinanderprallen zu lassen, geht (…) am Ende glänzend auf. Die künstlerische Geschlossenheit des Musikdramas ist zwar verloren. Gewonnen aber werden die subjektive und politische Radikalisierung des Konflikts, die Verschärfung des Bildhaften und eine ungeahnte Intensivierung der sinnlichen und sinnbildenden Wirkung. Jochen Biganzoli, unterstützt von Andreas Wilkens (Bühne), kommt das Verdienst zu, die Verschränkung der beiden Ebenen zunehmend überzeugend in Szene gesetzt zu haben. Der Gegensatz zwischen den Verdi-Sängern Luisa und Rodolfo sowie den Schiller-Schauspielern Luise und Ferdinand offenbart sich als höhere Einheit. Die beiden Paare agieren analog, in Varianten, sich kommentierend und in der Begegnung mit sich selbst als anderem Ich. Die Personenkonstellationen gewinnen enorme Ausstrahlung durch die Darstellungskunst der Akteure. (…)



SÜDTHÜRINGER ZEITUNG, 18. OKTOBER 2005

Eine verblüffende Symbiose

(…) Regisseur Jochen Biganzoli hat den chorlosen Rest der Oper so mit dem Schauspiel kombiniert, dass tatsächlich eine verblüffende Symbiose entstanden ist, die nun nicht mehr „Luisa Miller“, sondern „Luisa Millerin“ heißt. Zu Rodolfo und Luisa kommen Ferdinand und Luise hinzu. Optisch vertraute Freunde, aber doch in Kostümdetails dem Schillerstück entsprungen, übernehmen die beiden Schauspieler von den in der Gegenwart angesiedelten Sängern gelegentlich den Faden der Handlung. Oder spielen die innere Zerrissenheit und die Auseinandersetzung mit sich selbst aus. Nach kurzer Gewöhnung bringt das für den Zuschauer tatsächlich den Zugewinn, den es bringen soll, wirkt nie als Dopplung oder als Störung des einen durch das andere. In Andreas Wilkens kleinbürgerlicher Wohnküche der Millers verschwindet bald die Rückwand und es entsteht ein abstrakter Einheitsbühnenraum, auf dessen brüchigem Boden die Liebespaare auf den Schluck aus der berüchtigten Karaffe mit der vergifteten Limonade zutaumeln. „Du und ich und die Liebe“ – ist an die Rückwand projiziert und meint den Kern der Sache. (…) Von oben senkt sich die Gegenwelt des Vaters Walter als Bedrohung in die Szene. Es ist ein nüchternes Büro mit Laptop und einem Verhältnis mit der Sekretärin. Ein Gewaltmensch, der es erst mit seiner Sekretärin treibt, sie dann aber gemeinsam mit seinem Zuträger Wurm eiskalt absticht, als sie die beiden belauscht. Mit dem Handy zitiert er eine martialische Eingreiftruppe herbei, als er seinen Sohn aus dem Hause Miller holt. Am Ende bricht alles (inklusive Dekoration) zusammen. Was sich szenisch äußerst triftig und klug geschnitten als spannendes Kammerspiel mit auflodernder Emotion entfaltet, wird von einem Ensemble musikalisch beglaubigt, das sich hören lassen kann. (…) Viel Jubel für alle Beteiligten!



NEUES DEUTSCHLAND, 17. OKTOBER 2005

Verdi und Schiller treffen sich im Landestheater

(...) Im Landestheater gibt es währenddessen den Probelauf für einen makaberen Prototyp: die Oper ohne Chor. Das kann natürlich im Ernst kein Modell sein - da bliebe das Genre am Ende selbst auf der Strecke. Da geniert man sich (aus Angst vor der Gefahr des Beispiels) fast zu sagen, dass die Eisenacher das trotz alledem hervorragend machen. Was jetzt als eigene Kreation einer Verdi-Schiller-Melange aus Schillers "Kabale und Liebe" und Verdis "Luisa Miller" unter dem Titel "Luisa Millerin" über die Bühne ging, funktionierte fabelhaft. Nichts von Wir-tun-mal-so-wie-Oper mit abgespecktem Personal. Sondern als Verflechtung von Oper und Schauspiel als ein spannendes Kammerspiel, bei dem das Opernpersonal, das in Jochen Biganzolis Inszenierung konsequent in die Gegenwart geholt wird, direkt von Schillers Luise und Ferdinand unterstützt wird. Was die glättenden und verwässernden Eingriffe von Verdis Librettisten Cammarano partiell wieder in die Schillersche Unbedingtheit zurückholt. Mal unterbrechen Vera Teltz und Jan Baake als Schauspieler-Alter-Egos die fabelhafte Luisa Sabina Martins und den Rudolfo von Enrico Lee, mal ist es umgekehrt. Gesungen wird italienisch, gesprochen wird Schiller. Das Paar (die Paare) ist (sind) im Zentrum des Geschehens, das unerbittlich auf die Katastrophe zuläuft. Zuerst in der spießigen Stube bei Kleinbürgers. Die Mama in der Kittelschürze und die Schlagsahne aus der Spraydose (Bühne: Andreas Wilkens, Kostüme: Micheal S. Kraus). Wenn das Liebespaar dann seinen Hindernislauf gegen die Konventionen der Welt beginnt, weitet sich das Zimmer in einen Raum mit brüchigem Boden und einem Spruch an der Rückwand "Du und Ich und die Liebe". Nun, vor allem der alte Walter sieht das ja bekanntlich anders. Grzegorz Rozycki ist in seinem von oben einschwebenden Büro ein Manager, der natürlich was mit der Sekretärin hat. Als die, mehr zufällig, ein selbstentlarvenden Gespräch mit Wurm (Jürgen Orelly als fieser Bürokratentyp) belauscht, wird sie kurzer Hand abgestochen und entsorgt. (...)

Herausgekommen ist ein höchst origineller Beitrag zum Schillerjahr. Vielleicht nicht unbedingt für Verdi-Puristen, aber für Freunde eines lebendigen, kreativen Theaters! Einhelliger Jubel in Eisenach. Und doch ein mulmiges Gefühl, was passiert, wenn die ihre Sache zu gut machen…