JOCHEN BIGANZOLI   REGISSEUR

DER FREISCHÜTZ von Carl Maria von Weber, LANDESTHEATER DETMOLD

Musikalische Leitung: Erich Wächter

Bühne: Stefan Morgenstern

Kostüme: Claudia Schinke

Dramaturgie: Elisabeth Wirtz / Bettina Bartz


LIPPISCHE LANDESZEITUNG, 17. JUNI 2006

Ein 'Freischütz', der herausfordert

Dem Rezensenten wächst kraft Amtes die Aufgabe zu, ein gültiges, vielleicht sogar endgültiges Urteil abzugeben. Was aber soll das sein? Umso deutlicher wird diese Frage angesichts einer Inszenierung, die vor allem eins will: die Auseinandersetzung, die eigene Standortbestimmung angesichts eines dazu herausfordernden Erlebnisses. Das leistet die Inszenierung des "Freischütz" durch Jochen Biganzoli allemal. (...)Am Ende knallt Agathe ihrem Max eine und wendet sich ab. Diese Szene verdeutlicht Biganzolis Interpretation der deutschen romantischen Oper. Spätestens hier wird offenbar, worauf der Regisseur hinaus will. Die Polaritäten von gut und böse, richtig und falsch, drinnen (in der Seele und der Stube) und draußen (in der Gesellschaft und im Wald), wahr und unwahr verwischen. Das Bühnenbild (Stefan Morgenstern) zeigt das sofort. Eine tolle Idee. Die Welt ist kein Kinderspiel, und das Theater soll es auch nicht sein. Was aber dann? (...) Sind es die Verhältnisse, die die Menschen so verunsichern, dass sie kaum noch zu unterscheiden wissen? Biganzolis Verhältnisse sind die der beginnenden Industrialisierung. Die Bauern des Obrigkeitsstaates, die Max zu Beginn der Oper von Carl Maria von Weber noch verhöhnt haben, werden zu Bergarbeitern des Frühkapitalismus, der Eremit zu ihrem Vormann. Diese Deutung hebt den "Freischütz" mit Recht heraus aus einer (pseudo-)romantischen Gefühlswelt. (...) 

Die individual-psychologische Anlage der Figuren gelingt hervorragend und wird von den Ausführenden schlüssig umgesetzt. Toll der Auftritt des Caspar als ihr ehemaliger Liebhaber, als Agathe auf Max wartet. Eindrucksvoll vermittelt, wie Max am Ende durch seine innere Zerrissenheit den Verstand verliert. Fazit: eine Inszenierung, die herausfordert. Das Premierenpublikum erlebte eine Aufführung wie aus einem Guss, voll dramatischer Spannung. (…) Am Ende gab’s viel Applaus und für einige Publikums-Lieblinge auf der Bühne auch Blumensträuße.


PYRMONTER NACHRICHTEN, 17. JUNI 2006

Spannend und aus einem Guss

(…) Eine „romantische Oper“ nennt Carl Maria von Weber seinen „Freischütz“, doch romantisch im landläufigen Sinne ist das Werk nur teilweise. Auch das Unheimliche, Dämonische – manifestiert durch die Szenen in der Wolfschlucht – spielt eine Rolle. Im Landestheater Detmold wurden beide Aspekte in Jochen Biganzolis Inszenierung und im faszinierenden Bühnenbild von Stefan Morgenstern musikalisch und atmosphärisch überzeugend erarbeitet. Zudem ist es dem Regisseur gelungen gesellschaftliche Umstände deutlich zu machen, ohne darüber die Psychologie der Hauptfiguren zu vernachlässigen.